Theater als Bildungschance |
Jürgen Mack und Werner Jauch (Der
Artikel erschien in: LEHREN und LERNEN Heft 4/2002 Neckar Verlag
Villingen-Schwenningen.
Themenheft:
Schule und Theater S. 3f) Theaterspielen
kann in Schule und Ausbildung auf eine jahrtausendalte Tradition zurückgreifen.
Die pädagogische und kulturelle Bedeutung des Schultheaters wurde an vielen
Stellen hervorgehoben und kann als hinreichend legitimiert vorausgesetzt
werden. Theater und szenisches Lernen war zentraler Baustein der Pädagogik
seit der griechischen Antike, in den Schulen der Jesuiten, über zahlreiche
Konzepte und Modelle der reformpädagogischen Ära 1.
These
Theaterpädagogische Methoden stärken Lernende Theater als Unterrichtsform entspricht in hohem Maße den Erkenntnissen heutiger Lern- und Hirnforschung. Der Körper ist genauso beteiligt wie der Geist. An Texten, Bildern, Szenen und Situationen gewonnene Erkenntnisse finden den Weg zu persönlichem, körperlichen und emotionalen Ausdruck. Lernende erfahren im Spiel sehr viel über sich selbst als Person und entwickeln dabei Kriterien für ihre ästhetischen Wahrnehmungen. Dabei erfahren sie die Bedeutung schulischer Inhalte für ihre persönlichen Lebensfragen. Die Lernenden werden nicht zu Konsumenten, sondern sind Beteiligte ihrer Lernprozesse. Theaterpädagogik fördert dabei auch Sozialkompetenzen. Lernende erfahren sich in Interaktionsprozessen und – strukturen einer Bezugsgruppe, lernen diese durchschauen und werden kompetenter im eigenen Handeln und Auftreten. Das geht einher mit einer Stärkung des Selbstwertgefühles und nimmt einen zentralen Platz im Rahmen der Sucht- und Gewaltprävention ein. 2.These
Theaterpädagogik intensiviert Wissensvermittlung Spätestens
seit der Veröffentlichung der PISA-Studie im November 2001 wurden Defizite
deutscher Schülerinnen und Schüler hinsichtlich elementarer Basiskompetenzen
auch in der öffentlichen Diskussion deutlich. In den Bereichen Lesekompetenz,
Problemlösungsstrategien und selbstgesteuertes Lernen traten augenfällige Mängel
in Erscheinung. Wie
kaum ein anderes Unterrichskonzept stärkt theaterpädagogische Arbeit genau
diese Bereiche. Theater ist untrennbar verbunden mit der Fähigkeit und Förderung
des Lesens und Textverstehens. Einen Text in Spiel umzusetzen erfordert tiefes
Eindringen und "erlebte" Interpretation. Umsetzung mittels Formen
des darstellenden Spiels erfordert eine Vielzahl von situationsbezogenen
Problemlösungsstrategien. Die Schulung der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit
und der Präsentationsfähigkeit der Lernenden steht dabei ebenfalls im
Zentrum einer schulorientierten Didaktik des Theaterspielens. Ohne
Eigenverantwortung und selbstgesteuertes Lernen können solche Prozesse nicht
gelingen. 3.These
Theaterpädagogik liefert den notwendigen Ausgleich zum Umgang mit den
Neuen Medien Die Medien erfordern heute Fähigkeiten auf unterschiedlichsten Ebenen, Nutzerkompetenzen sind dabei nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite spricht den ganzen Menschen an, seine persönlichen Auseinandersetzungen mit der Ästhetisierung und Inszenierung des Alltags, der Trivialisierung der Inhalte und der Wahrnehmungsprozesse. Medienkonsum, aber auch mediengestützte Lernprozesse brauchen die Gegengewichte körper- und bewegungsorientierter Lernerfahrungen. Die Digitalmedien mit ihren sehr einseitigen Anforderungen an Wahrnehmung und Körperlichkeit machen sinnlich-ästhetische Tätigkeitsfelder zu einem elementaren Bestandteil des Bildungsprozesses. 4.
These
Schulen werden mittels Theater zu kulturellen Einrichtungen Kultur wird bei uns vor allem konsumiert. Einerlei, ob es sich um Bildende Kunst, Musik, Literatur, Theater, Film, Fernsehen oder die ganze Vielfalt der digitalisierten Medienkultur handelt. Die ästhetische Wertebildung dominieren unbekannte Gestalter. Wir brauchen neben der "großen" Kultur auch beteiligte Kultur. Das erfordert Aneignungsprozesse, wofür in den Schulen die Grundsteine gelegt werden müssen. Das Spiel wird zum Modell des Lebens, Lernen hat dabei unmittelbar mit "Leben erfahren" zu tun, mit Abbildungen, Spiegelungen und Gegenentwürfen. Daraus entstehen oder verändern sich Haltungen. Und die sind die Voraussetzung für Wertmaßstäbe und für Beteiligungsbereitschaft des Einzelnen. Aufführungen erzeugen Öffentlichkeit,
Reaktionen und Rückmeldung. Die Spielerinnen und Spieler erleben sich in der
Rolle der Mitgestalter ihrer Lebenswelten, der Alltagskulturen und nicht im
Sinne traditioneller 5.
These
Theaterpädagogische Methoden stärken Lehrende Auch Unterricht ist szenisches Geschehen. Die Szenerie umfasst Inhalt und Präsentation. Es sind dies auch die beiden Seiten der Interaktions- und Kommunikationsprozesse. Beides zusammen bedingt die inszenierte Situation "Unterricht". Der Versuch, die Prozesse dieses "wirklichen Lebens" mit den Methoden des Theaters zu durchschauen, führt zu Kenntnissen und Erkenntnissen, in denen die unmittelbaren Mechanismen des eigenen Verhaltens bewusster werden können. Theaterpädaogik qualifiziert zu besserem Unterrichten und leistet einen elementaren Beitrag zur Persönlichkeitsbildung in Lehrerberufen. 6.
These
Theaterpädagogik beschreitet einen Königsweg
Interdisziplinären Lehrens und
Lernens Theater ist von
seinen Anforderungen her interdisziplinär: Die Übereinstimmung
sogenannter „Schlüsselqualifikationen“ aus Anforderungsprofilen des
„Handelns in vernetzten Strukturen“ mit den Lernchancen, welche die
Theaterpädagogik bietet, ist verblüffend. Es geht in beiden Feldern um:
·
die Fähigkeiten zu Empathie,
Rollendistanz und Toleranz ·
die Fähigkeit zu präsentieren ·
die Fähigkeit kritisch zu
reflektieren ·
die Fähigkeit, sich ganz (mit
Haut und Haaren) einzulassen und sich zu engagieren, ·
die Fähigkeiten zu kooperieren ·
den Umgang mit schwierigen Schülern
oder Kollegen ·
die Fähigkeit zu reflektierter
Kommunikation ·
Sach- und vielfältige
Methodenkompetenzen ·
Verstehenskompetenzen ·
Selbstwahrnehmung und Menschenführung ·
Verantwortung und Durchhaltevermögen
Theater ist in
seinen Formen interdisziplinär: Es vereint die
musischen Bereiche der gesprochenen Sprache, der Literatur, der Bildenden
Kunst, der Musik, des Gesanges und in vielfältigen Formen auch des Tanzes,
der Bewegung, der Gymnastik, der Equilibristik. Es fördert entsprechende
Aneignungskompetenzen, ebenso die Fähigkeit interdisziplinär zu denken und
die Anforderung, Denken und Wissen in Handeln umzusetzen. Ja, ich behaupte darum, dass das Theaterspiel eines der
machtvollsten Bildungsmittel ist, die wir haben: ein Mittel, die eigene Person zu überschreiten, ein Mittel der Erkundung von Menschen und Schicksalen und ein
Mittel der Gestaltung der so gewonnenen Einsicht." Hartmut v. Hentig Bildung, München 1996 S.119
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