Zwischen Wut und Mut

Jürgen Mack

 Zwischen Wut und Mut  - vom Umgehen mit Gewalt und Aggression

Ein theaterpädagogisches Ausbildungsprojekt am Seminar für schulpraktische

Ausbildung (GHS) in Meckenbeuren

(Der Artikel erschien in: LEHREN und LERNEN Heft 4/2002 Neckar Verlag Villingen-Schwenningen. Themenheft: Schule und Theater S. 12ff)

 

Schule braucht Theater als Bildungschance! Auf diesen formelhaften Nenner bringe ich die  sechs Thesen des Eingangsbeitrags dieses Heftes. Heutige Theaterpädagogik stellt eine Vielzahl von Konzeptionen, Methoden und Übungen bereit, die auf unterschiedlichste Weise ihren Beitrag zur Realisierung dieser Ziele leisten können. Diese Wege und Möglichkeiten muss man kennen, um sie anwenden zu können.  Theaterpädagogik legitimiert sich häufig mit dem Argument, Persönlichkeit zu bilden und zu stärken, Selbst- und Fremdwahrnehmung zu fördern.  Deshalb ist es genauso wichtig, sich der Grenzen dieser Methoden und des eigenen Handelns bewusst zu werden. Theaterpädagogik ist ein sehr komplexes pädagogisches Feld und erfordert entsprechend ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer.

Das staatliche Seminar für schulpraktische Ausbildung für den Grund- und Hauptschulbereich in Meckenbeuren bietet seit nunmehr 3 Jahren ein theaterpädagogisches Lehrangebot an. Es geht dabei einerseits um drei Bereiche:

·      die Interaktionen in Unterricht und Schule bewusst werden zu lassen, Lehrer- und Schülerverhalten, um Selbst- und Fremdwahrnehmung, um Erweiterungen des eigenen Verhaltensrepertoires.

·      um Methodentraining zu handlungsorientierter Gestaltung von Unterricht und Projektarbeit

·      eine theaterpädagogische Grundbildung zur Erlangung von Spielleitungskompetenzen.

 

Inhaltlicher Rahmen dieses Ausbildungsganges bildet der Umgang mit Aggression, Gewalt und rechtsradikalem Denken und Handeln vorwiegend im schulischen Umfeld.[1]

 

Unterricht ist Szene

Ausgangspunkt dabei ist die These von Jürgen Belgrad, dass Pädagogik und Theater Kunstformen von Interaktion und Kommunikation darstellen und Szenen deren Bausteine sind.[2] Die Figurationen dieser Szenen bestehen aus Handlungen, Erlebnissen und Lebenswelten, in deren Spannungsfeldern  sich die Verstehens- und Gestaltungsprozesse abspielen. Herausragendes Merkmal der Szene ist, dass sie beobachtet werden kann, dass ihre Handlungsträger diesen Beobachtungsmechanismen unterliegen und sich selbst in ihren szenischen Handlungen beobachten können. Auch Unterricht ist  Szene und unterliegt den Gesetzmäßigkeiten von Interaktion und  theatraler Inszenierung. Die Szene "Unterricht" lässt sich beobachten, analysieren, reflektieren und damit auch verändern.

"Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles was zur Theaterhandlung notwendig ist."[3]  Augusto Boal nennt dieses Verhältnis zwischen Handelndem und Beobachter den "ästhetischen Raum"[4], wobei auch der Handelnde selbst zum Beobachter seiner Handlungen werden kann. Für Boal ist das die "Essenz des Theaters: im Menschen, der Mensch, der sich selbst beobachtet. Der Mensch "macht" nicht nur Theater, er "ist" auch gleichzeitig Theater. ... Theater - oder Theatralik - ist die menschliche Fähigkeit, sich selbst im Handeln zu betrachten. Die Selbsterkenntnis, die der Mensch auf diesem Weg erwirbt, erlaubt ihm, beobachtendes Subjekt eines anderen, handelnden Subjektes zu sein. Sie erlaubt ihm, sich Variationen seines Handelns vorzustellen und Alternativen zu erproben."[5] Auch das Klassenzimmer ist ein solcher "ästhetischer Raum". Die theaterpädagogischen Methoden zur Erforschung des ästhetischen Raumes "Theater" eignen sich auch zur Beobachtung und Erforschung des ästhetischen Raumes "Klassenzimmer", zur Wahrnehmung der Interaktionsprozesse im Unterricht, zur Selbstbeobachtung und damit für einen Erkenntnisweg zur Selbstbeobachtung und zur Erprobung alternativer Handlungsweisen.

Welche Muster stehen hinter unseren Verhaltensweisen, welche Haltungen drücken sich in unseren sprachlichen und körpersprachlichen Formen aus, welchen Habitus legen wir an den Tag? Wie begegnen wir einander und welche Statusbestimmungen vollziehen wir dabei?   "Jede Sprachsituation fungiert als Markt, auf der etwas getauscht wird. Dieses Etwas sind natürlich Worte, aber diese Worte sind keineswegs nur dazu da, verstanden zu werden. Das Kommunikationsverhältnis ist  ... auch ein ökonomisches Verhältnis, bei dem es um den Wert dessen geht, der spricht: Hat er gut gesprochen? Hat er schlecht gesprochen? Ist er brillant? Ist er nicht brillant? Kann man ihn heiraten? Kann man ihn nicht heiraten?"[6] Auf Schule bezogen bedeutet das, aus  wechselnden Perspektiven formuliert: Nehmen wir die Lehrerin ernst? Glauben wir dem Schüler? Erkennen wir den Lehrer an? Wie verschaffen wir uns die nötige Aufmerksamkeit in unserem Kollegium? Welche Rollen nehmen wir im Kreis der Mitschüler ein? Wie wirke ich? Bin ich dabei authentisch? Die Fragestellungen gelten auf allen "Bühnen" der Szenerie Unterricht: zwischen Lehrern und Schülern, zwischen Schülern, zwischen Schülern und Eltern, zwischen Lehrern und Eltern, zwischen Lehrern, zwischen Lehrern und Schulleitung, um nur einige zentrale Ebenen dabei zu nennen.

 

Kreisläufe

Der Habitus, mit dem wir anderen begegnen, mit dem wir unseren "Marktwert" in der jeweiligen sozialen Situation definieren, ist untrennbar verbunden mit unserem Selbst. Wie reagieren wir in bestimmten Situationen? Auf welche Impulse zeigen wir Offenheit, wann "machen wir zu"? Wann gehen wir auf Distanz? Was muss geschehen, damit wir Nähe zulassen können? Können wir Grenzen ziehen oder Grenzen respektieren? Wann werden wir aggressiv, wie gehen wir mit diesen Aggressionen um, wann "berührt" uns ein Verhalten? Wann lehnen wir eine Person völlig ab? Wie zeigen wir Ablehnung und wie Wertschätzung?

Theaterpädagogik kann beitragen sich der Mechanismen und Muster bewusster zu werden, die  hinter Interaktionen stehen können. Gestörte Kommunikation, Unterrichtsstörungen, Mobbing, Aggression und Gewalt sind dabei Punkte, die nicht nur angehenden Lehrern und Lehrerinnen sehr zu schaffen machen. Es sind die zentralen Punkte, die Referendare am häufigsten nennen, wenn sie ihre Schwierigkeiten in Schule und Unterricht zum Ausdruck bringen. Als Ausbilder und häufiger Beobachter von Unterricht ergänze ich die Liste um den Punkt Hilflosigkeit im Umgang mit Beschimpfungen, verletzenden, menschenverachtenden und rechtslastigen Äußerungen.

"Im Kontext der Frage, wie „Eigenes“ und „Fremdes“ in den Lebenswelt-Konstruktionen codiert wird, kommt der Kompetenzerfahrung eine bedeutende Rolle zu: Wer sich als ohnmächtiges Opfer der Verhältnisse fühlt, der wird „Fremdes“ bzw. die Offenheit und Ambivalenz gesellschaftlicher Strukturen nicht als faszinierend und herausfordernd wahrnehmen können, sondern als beunruhigend und bedrohlich. Um die eigene Ohnmacht und die damit verbundenen Frustrationen zu kompensieren, dürfte er sich bzw. „das Eigene“ idealisieren und heftig vor „dem Fremden“ schützen wollen. Damit entwickelt sich ein Weltbild, bei dem das Ich im Kollektiv Geborgenheit sucht und sich damit über die mit der Ohnmachtserfahrung und der verweigerten Anerkennung verbundene Kränkung des Selbstwertgefühls hinwegtröstet - als scharf konturiertes Gegenbild zu der als „feindlich“ oder „chaotisch“ wahrgenommenen Außenwelt: Um den Selbst-Wert zu steigern, bietet sich die Abwertung des Anderen an, die Grundrezeptur rassistischer Weltbilder."[7] Nicht Mithalten können, die Kategorisierung als "leistungsschwach" und "versagend" führt bei den meisten Betroffenen zu einer Verunsicherung des Selbstwertgefühls und einer Minderung späterer sozialer und beruflicher Chancen. Aggression und Gewalt bei Schülerinnen und Schülern können als Verteidigungs- und Kompensationsmechanismen gegen die psychischen und sozialen Verunsicherungen interpretiert werden, die in der Schule entstehen."[8]  Referendare befinden sich in einer vergleichbaren Situation. Auch bei ihnen geht es um Sein oder Nichtsein in einem doppelten Sinne. Zum einen in den alltäglichen Herausforderungen "vor der Klasse, vor den Augen des Kollegiums und vor dem eigenen Selbstbild zu bestehen", zum andern aber auch innerhalb kürzester Zeit eine Prüfung so gut wie möglich zu bestehen, um überhaupt auf eine Einstellungschance hoffen zu können. Elementare Verunsicherung, Versagensängste aus existentiellen Gründen sind also keineswegs unbekannt und bestimmen nicht unwesentlich die Gefühle, das Selbstwertempfinden und den Habitus. An dieser Stelle zeigt sich nicht selten eine deutliche Parallelität zwischen Lehrer- und Schülerverhalten. Hier wie dort folgt der Hilflosigkeit situationsadäquat zu handeln, Ohnmachtsempfinden. Auch Lehrer reagieren mit Drohung, Abwertung und Demütigung. Das befremdliche Verhalten der Schüler wird als Bedrohung des eigenen Status empfunden und man reagiert mit den gleichen Mustern. So distanziert sich die "Kontrahenten" auf der inhaltlichen Seite zeigen, ihr tatsächliches Verhalten entspringt der gleichen Quelle. Auch hier wirkt ein heimlicher Lehrplan, wirkt der Lehrer - wenngleich unbewusst - vorbildhaft.

 

 Theaterpädagogik in der Lehrerausbildung

 "Wer im sozialen, im kreativ-gestalterischen Bereich oder beim kritisch-reflektierenden Verstehen die Erfahrung von Kompetenz macht, kann sich selbst als Gestalter des eigenen Lebens wahrnehmen und seine Lebenswelt als Lerngelegenheit und Herausforderung. Von entscheidender Bedeutung scheint bei dieser Transformation von Ohnmachtsgefühlen die Anerkennung durch andere zu sein."[9] Theaterspiel (und auch die Zirkuspädagogik) erfordert u.a. Teamarbeit, Verlässlichkeit, Präsenz, Konzentration, Verantwortung, Ausdauer und Empathiefähigkeit. Als Preis winkt die Anerkennung durch andere und somit eine Steigerung des Selbstwertes.

Theater bietet den Raum mit Hilfe des Spieles Situationen zu erkunden, sich selbst zu beobachten, sich auszuprobieren, verstehen zu lernen und nach Lösungen und Auswegen zu suchen. "Im ästhetischen Raum kann man (da) sein, ohne zu existieren. Tote werden lebendig, die Vergangenheit wird gegenwärtig, die Zukunft ist heute, die Dauer wird von der Zeit losgelöst, alles ist möglich im Hier und Jetzt, die Fiktion wird zur Realität und die Realität zur Fiktion. ... Der ästhetische Raum besitzt die selbe Plastizität oder Gestaltungskraft wie der Traum. ... Deshalb können wir im Theater konkrete Träume haben."[10] Theaterpädagogik ermöglicht eine handelnde Auseinandersetzung mit zentralen Fragestellungen des Lehrberufs, indem sie diesen selbst zum Inhalt ihre Arbeit macht. Es geht um ein spielendes Erkunden von Möglichkeiten, eine Suche nach Antworten auf Fragen, die helfen, sich seines Selbst bewusster zu werden:

 

·      Welche Erkenntniswege eröffnen theaterpädagogische Methoden für die Gestaltung von Unterricht?

·      Wie ermöglichen theaterpädagogischen Methoden Erkenntnisse auf den Ebenen der Kommunikation und Interaktion?

·       Welche theatralen Determinanten bestimmen unterrichtliches Geschehen?

·      Welche Mechanismen und Muster stehen hinter bestimmten Verhaltensdispositionen?

·      Welche Rolle "spielt" der Raum in unseren Interaktionen? Wem "gehört" der Raum, welche Funktion hat der Raum in unseren Statusdefinitionen?

·      Wie können angehende Lehrer/innen in ihrer Selbstwahrnehmung gestärkt werden?

·      Lassen sich alternative Verhaltensmöglichkeiten in prekären Situationen ausprobieren?

·       Welche Wünsche, Utopien und Träume bewegen uns?

·      Warum sind wir enttäuscht, wenn die Wirklicht nicht so ist, wie wir sie gerne hätten?

·      Wie erleben wir diese Enttäuschung und welche Möglichkeiten haben wir, damit  umzugehen?

·      Wie nehmen wir uns selbst wahr?

·      Wie reagieren andere auf mich und ich auf andere?

·      Wie nehmen wir unseren eigenen Körper, unsere Befindlichkeit und unsere Gefühle wahr?

 

Die Verbindung von Tanz und Kampfsport  erschließt noch weitere Ebenen dieses Weges zur Stärkung des Ichs und des "Erkenne dich selbst". Intensiviert wird die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, Bewegung und Rhythmus führen zu Konzentration und Kontemplation, zu einem  Ganz-bei -sich-selbst- Sein, Spannung und Entspannung wechseln einander ab und bleiben nicht ohne Auswirkung auf unser Wohlbefinden, Partnerschaft und Respekt vor anderen ist zentraler Bestandteil der Arbeit, Kraft und Aggression wird bewusst erlebbar und in einen schöpferischen Prozess umgesetzt. Nicht selten gelingt es mittels dieser  Erfahrungen Konflikte zu thematisieren und über Ängste und Gefühle zu reden.[11]  

In der Chance dieses sich Ausprobierens als Weg zur Selbsterkenntnis liegen  aber auch Gefahren, die in einem solchen Ausbildungsgang erfahren werden müssen, damit sie in das Blickfeld des Bewusstseins gerückt werden:

 ·        Wo fängt Therapie an und wie erkenne ich Grenzen des Spiels?

 ·        Wo sind die Grenzen meiner persönlichen Fähigkeiten als Spielleiter/in?

Ziel ist dabei ja nicht nur die Stärkung der Rolle als angehende Lehrerin, die  Teilnehmer sollen selbst zu Spielleitern ausgebildet werden. Dabei sind noch zwei weiterere Punkte von zentraler Bedeutung:

 ·     der Umgang mit dem Fehler. In der Schule sind Fehler verpönt, man schämt sich, kaschiert oder vertuscht Fehler, ja nicht auffallen beim Fehler machen heißt das Prinzip. Fehler schwächen uns, ist die Botschaft. Anders in unserem Verständnis von Theaterarbeit: Fehler sind oftmals gar keine falschen Handlungen, sondern zeigen andere Möglichkeiten. Fehler können auch eine Chance sein zu erkennen, was und wie wir etwas falsch gemacht haben oder wie wir etwas besser machen können. Solche Erkenntnisse setzen das Fehler machen geradezu voraus.  Pia André, die Neuen Tanz und Kampfsport in diesem Projekt lehrt, spricht vom Innehalten als das Mittel, innere Freiheit zu üben. "Statt automatisiert aus Gewohnheit auf einen Input zu reagieren, sage ich "Stop!", entscheide mich für eine neue Möglichkeit und habe dadurch die Fähigkeit, zu wählen.  Statt mich von meinen Gewohnheiten bestimmen zu lassen, erweitere ich meine Möglichkeiten. So entsteht Freiheit. Wir lernen etwas Neues, erarbeiten die Gedanken, die uns am Lernen hindern (z.B. „ich muss perfekt sein“, "ich weiß schon alles (besser)“, "ich darf mir keine Schwäche erlauben“, etc.). Indem ich mir Fehler erlaube, lerne ich schneller und besser, komme schneller und leichter an mein Ziel. Das Lernen beginnt sogar Spaß zu machen, wenn ich mir für jeden Fehler ein Lächeln schenke."[12]

 

·        Lehrende sind immer auch Lernende, machen Fehler, lernen daraus, gewinnen aus den Prozessen, die sie mit ihren Impulsen in Gang gesetzt haben Erkenntnisse, die zum Ausgangspunkt der weiteren Arbeit werden. Theaterpädagogik in diesem Verständnis bedeutet nicht die Realisierung eines vorgedachten Regiekonzeptes, ist nicht die Umsetzung eines Bildes, das der Spielleiter im Kopf hat und dem die Teilnehmer/innen möglichst nahe kommen sollen. Theaterpädagogik bedeutet für uns Wahrnehmen, Aufnehmen, Weitergeben, Annehmen oder auch Verwerfen. Eine Gruppe macht sich auf den Weg und alle sind an der Gestaltung des Prozesses und des Produktes beteiligt. Das klingt vielleicht idealistisch und harmonisch. In Wirklichkeit bedeutet es, jede Menge Konflikte auszutragen, nach Lösungen zu suchen und deren Tragfähigkeit zu erproben.

 

Das Ausbildungsprojekt

 Konzipiert ist die Ausbildung weitgehend als Zusatzangebot, das während des 1 1/2 Jahre dauernden Referendariats angehender Grund- und Hauptschullehrer am Seminar Meckenbeuren erstmals dem Kurs 21 angeboten wurde. Es wechseln sich die kontinuierliche Arbeit am Seminar ab mit Wochenendseminaren unter der Leitung von ausgewählten, professionellen Theaterpädagogen/innen. Beteiligt sind:

 

Jürgen Mack  Theaterlehrer beim Oberschulamt, Lehrbeauftragter für Deutsch und Pädagogik am Seminar in Meckenbeuren, langjährige Regieerfahrungen im Schul- und Amateurtheater, Mitgründer und Vorsitzender des Fördervereins THEATERTAGE AM SEE; eines der größten theaterpädagogischen Festivals des europäischen Amateurtheaters. Er leitet das Ausbildungsprojekt.

 

Pia André  ist Tänzerin und Bewegungspädagogin. Sie unterrichtet freiberuflich im In- und Ausland Neuen Tanz, Contactimprovisation und verschiedene Kampfkünste. Sie tanzte in internationalen Kompanien und arbeitet zusammen mit Musikern und Schauspielern. Arbeitsschwerpunkt in diesem Projekt: Neuer Tanz, Contaktimprovisation, Stockkampfkunst, Choreographie der Elemente des Tanz- und Bewegungstheaters.

Doris März ist Schauspielerin und Regisseurin. Sie arbeitet und inszeniert freiberuflich hauptsächlich in Deutschland und Italien an Theatern, Schauspielschulen, mit Lehrern, Theateramateuren und für Film und Fernsehn. Ihre Ausbildung zur Schauspielerin erfolgte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst „Max-Reinhardt-Seminar“ in Berlin, später dann bei George Tabori, Jerzy Grotowski, Lee Strasberg, Walter Lott, Augusto Fernandez, 6 Jahre Psychoanalayse und weiterhin Supervision bei Dr. Menachem Amitai. Arbeitsschwerpunkt in diesem Projekt: Der innere Raum des Schauspielers, Umgehen mit Grenzerfahrungen.

 

Helga Kröplin

 ist Schauspielerin und Theaterpädagogin,  war lange Jahre am Kinder- und  Jugendtheater des Landestheaters Tübingen (LTT) als Theaterpädagogin, Musikerin und Schauspielerin tätig. Ihr Tätigkeitsfeld im Rahmen diese Projektes ist die Atem -Stimm- und Sprachschulung. Sie arbeitet eng  zusammen mit 

 

Werner Jauch 

Theaterpädagoge und Schultheater-Referent beim Landesinstitut für Erziehung und Unterricht. Beide haben jahrelange Erfahrung in der Theaterpraxis mit Jugendlichen und Erwachsenen und leiten gemeinsam eine generationenübergreifende Theatergruppe.  

  

Das gesamte Projekt umfasst einen zeitlichen Rahmen von 150 Stunden und gliedert sich in drei Phasen. Der Kurs entspricht in seinem zeitlichen Umfang nicht einem kompletten Ausbildungsgang zum Theaterpädagogen oder Theaterlehrer, wie er bis Anfang der 90iger Jahre in Baden-Württemberg

 

Die erste Phase:  Grundkurs 
Stockkampf, Tanz- und Theaterpädagogik 
Gewalt im Schulalltag

Der 18-stündige Grundkurs wird einem breitem Teilnehmerkreis im Rahmen des Lehrangebotes zum Intersdisziplinären Lehren und Lernen angeboten. Teilnehmen können maximal 50 Personen, darunter auch Lehrbeauftragte am Seminar. Dieser Grundkurs wurde in den Jahren 2000 und 2001 angeboten und evaluiert. Insgesamt haben bislang 94 Personen teilgenommen. Im Juli 2002 wird dieser Kurs zum dritten Mal angeboten.

Im halbtägigen Wechsel belegen alle Teilnehmer die Bereiche Neuer Tanz und Stockkampf und Theaterpädagogik. Die Tanzpädagogin Pia André leitet den Tanz- und Stockkampfpart, Jürgen Mack den theaterpädagogischen Teil. Inhaltlich geht es um eine elementare Auseinandersetzung mit Gewalt- und Aggressionserfahrungen in der Schule. Das Theater beschäftigt sich dabei mit Gefühlen, Körperwahrnehmungen, offenen und versteckten Aggressionen, mit gestörter Kommunikation, Macht und Ohnmacht in Interaktionen, mit Sprache, Körpersprache, Status und Habitus. Welche Wirkungen haben Bilder und Statik?

Stockkampf und neuer Tanz führen zu persönlichem Aggressionserfahrungen. Welche Kraft steckt in mir und in meinen Bewegungen, wie fühle ich mich als Täter, Opfer oder Zuschauer? „Wenn ich wirklich hinschaue beim Schlagen, ist es sehr schwer, noch wirklich zu schlagen. Jeder Mensch hat die Fähigkeit zur Aggression, sonst könnten wir nicht überleben. Diese Arbeit gibt die Möglichkeit, diese Aggression zu kanalisieren, ihnen eine Richtung zu geben, die nicht zerstörerisch ist. Aggression passiert oft unkontrolliert. „Augen zu und drauf!“ Wenn ich mir bewusst mache, was ich tue, kann ich lernen, Aggression zu kontrollieren. (kontrolliere ich die Aggression und nicht sie mich) Um mit Aggression umgehen zu lernen, muss ich sie anschauen, statt sie zu tabuisieren. Dadurch verliere ich die Angst davor, lerne sie zu kanalisieren, so dass sie weniger zerstörerisch ist.[13]

 

Die zweite Phase:           Aufbaukurs           Dramaturgie und Schauspielkunst

 

Der 70-stündige Aufbaukurs läuft als Zusatzangebot im Anschluss an eine reguläre Ausbildungsveranstaltung am Seminar, donnerstags 14- tägig von 17.00h bis 20.00h. Dabei wird in einem Prozess "praktischer Dramaturgie" ein eigenes Theaterstück entwickelt. Ausgangspunkt der inhaltlichen Arbeit ist ein Presseartikel über Gewalt und Rechtsradikalismus an einer Schule.

 

Unter der Leitung von Doris Merz fand ein "intensiver Schauspielkurs "statt. Es ging um die Suche nach einem eigenen, authentischen Ausdruck. Körperarbeit, Bewegungsimprovisation, Konzentrations- und Sinnesgedächtnisübungen,  Figuren werden erfahren und das Ein- und Aussteigen in eine bzw. aus einer Figur ermöglicht. Im Mittelpunkt steht die Individualität jedes Schauspielers, um "Präsenz" und "Verkörperung" in einer Bühnenfigur ganz persönlich aufzuspüren und um im weiteren Probenprozess der anderen Figur im Raum mit Musik, Licht und seinem Kostüm zu begegnen. Es geht dabei auch um Grenzerfahrungen. Wie weit bin ich bereit mich einzulassen, wo sind meine Grenzen? Was kann geschehen, wenn ich selbst diese Grenze überschreite oder wenn Spielleiter ihre Position missbrauchen und Prozesse initieren, die zu steuern sie nicht in der Lage sind.

Helga Kröplin und Werner Jauch arbeiten mit Atem, Stimme, Rhythmus und Sprache. Einer gefundenen Figur wird stimmlicher Ausdruck verliehen und dieser in Einklang mit ihren Bewegungen und ihrem inneren Ausdruck gebracht. Es geht darüber hinaus darum, für jede Szenen einen passenden Rhythmus zu finden. Wichtig ist in diesem Kurs aber auch die Schulung der konkreten und ökonomischen Stimmarbeit für den Lehrberuf.

 

In der kontinuierlichen Arbeit zwischen den Kompaktphasen mit externen Referentinnen wird die Stückentwicklung über Improvisations- und Körperarbeit vorangetrieben. Es geht um eine Intensivierung der im Grundkurs angelegten Erfahrungen: Raum und Zeit, Begegnung, Bewegung und Ruhe, Eskalation und Beruhigung, Massenszenen, Monologe, Aktion und Reaktion und immer wieder um die dramaturgische Auseinandersetzung mit dem Status der Rolle in der jeweiligen Situation. Wie entwickeln sich Spannungsbogen und Wendepunkte? Wieviel Gewalt und Aggression hält ein Spieler aus, halten Zuschauer aus? Wieviel Komik verträgt und braucht eine solche Thematik? Taugt der Stoff auch für eine Komödie? Wieviel Lehrstück darf oder muss sein? Im Zentrum stehen Improvisationen.

Der Aufbaukurs ist bewusst sehr schulnah gestaltet. Viele Methoden sollen unmittelbar im Unterricht in Form szenischen Interpretierens, in der eigenen Theatergruppe, in Projekten angewandt werden können. Diese "Verwertbarkeit" der Theaterarbeit erscheint in dieser Phase der Hochbelastung neben dem erlebbaren Zugewinn für die eigene Person als weiterer wichtiger Motivationsimpuls, dabei zu bleiben.

 

Die dritte Phase:            Inszenierung des Theaterstückes

 

Die Ausgangsgeschichte handelt von einer Schule, in der ein Schüler von seinen Mitschülern aus dem rechten Milieu fast aufgehängt wurde. Mehr aus Zufall kam die Geschichte an die Öffentlichkeit und zur Anzeige. Verharmlosung und Vertuschung sind Reaktionen vermeintlicher Konfliktbewältigung. Als das nicht funktioniert wird das Opfer erneut zum Schuldigen und muss zu letzt die Schule verlassen, während die Solidarität den Tätern gilt.[14]

Die in Phase II entwickelte Geschichte nimmt nur noch am Rand Bezug auf diesen Ausgangstext. Das Stück handelt von Personen, die in irgendeiner Weise mit den Personen des Textes zu tun hatten und haben. Gezeigt wird, wie sie mit dieser Geschichte umgehen. Ihre ganz persönliche Betroffenheit, ihre hektischen Aktivitäten zur Konfliktbewältigung und die Suche nach Schuld und Schuldigen macht sie blind für eine neuerliche, sich anbahnende Katastrophe.

Das Stück "Alles Jammerlappen?" wird in Szene umgesetzt und kommt im Sommer 2002 zur Aufführung. Kein Teilnehmer ist zu diesem Zeitpunkt aus dem Projekt ausgestiegen, obwohl jetzt die eigentliche Seminarausbildung in die heiße Phase der zweiten Staatsprüfungen tritt. Diese dritte Phase der theaterpädagogischen Ausbildung kann als die eigentliche Projektphase bezeichnet werden. Sie beteiligt die Teilnehmer jetzt zunehmend im Gestaltungsbereich der Inszenierung. Eingebunden in die Arbeit wird jetzt wieder die Tanzpädagogin Pia André, die mit den Teilnehmerinnen auch choreographische Elemente des Tanz- und Bewegungstheaters entwickelt. Die teilnehmer werden in dieser Phase auch Workshops eigener Wahl bei den THEATERTAGEN AM SEE belegen.

Neben dem Finden einer eigenen Rolleninterpretation und dem Entwickeln eines dramaturgischen Spiekonzeptes, geht es um das Bühnenbild, Technik, Ausstattung und Kostüme, Auftrittsorte, Werbung und Auftrittsrechtliches.

 

Evaluation

 

Grundkurs

Wie schon erwähnt fand der Grundkurs bereits zweimal statt mit insgesamt haben 94 Teilnehmern. Davon waren 9 weibliche Lehrbeauftragte am Seminar, 69  waren Lehreranwärterinnen und 16 Lehreranwärter. Die Erwartungshaltungen waren in beiden Durchgängen sehr ähnlich. Es dominierten dabei persönliche Gründe, wie eine erhoffte persönliche Bereicherung, Spaß, Persönlichkeitsentwicklung und Selbsterfahrung hinsichtl. des Umgangs mit Aggression. Auf der beruflichen Seite erwarteten die meisten Impulse für szenisches Arbeiten, Konfliktbewältigungsstrategien und ebenfalls Impulse für den Umgang mit Gewalt und Aggression. Die Bewertung der Erfüllung/Nichterfüllung der Erwartungen zeigte, dass dieser Grundkurs fast ausnahmslos als äußerst wertvolle Erfahrung in der Lehrerausbildung bezeichnet wird.

 

"Für mich waren diese Tage die mit Abstand fruchtbarsten Tage am Seminar. Dies gilt sowohl für die Bildung meiner Lehrerpersönlichkeit als auch für die Anregung zur Unterrichtspraxis. Was mich nachhaltig geprägt hat, war die Teamfähigkeit der Teilnehmer und die Kritikfähigkeit gegenüber jedem einzelnen, aber auch dem Kursleiter/in." (Karin L.)

 

"Im  Stockkampf habe ich die Erfahrung gemacht, dass jeder Mensch - auch ich -Aggressionen in sich trägt. Diese Erfahrung nicht durch Nachdenken oder Sprechen sondern durch Körperarbeit zu machen war hart und verwirrend aber auch sehr bereichernd. Ich erachte dies als eine wichtige Grundvoraussetzung, um überhaupt mit Gewalt und Aggression umgehen zu können. Nur wo auch Verständnis und Einfühlungsvermögen da ist, können „Andockpunkte“ geschaffen werden, die Kommunikation möglich machen. Wenn ich gewalttätige Menschen von vorne herein als „abartig“ verurteile, werden sie sich niemals auf mich einlasse. Die Erfahrung auch selbst mit Aggressionen ausgestattet zu sein sehe ich wie eine Art Brücke, die den Abgrund zwischen gewalttätigen Menschen und ihren Betreuer, Erziehern, Lehrern überwindet." (Eva H.)

„Ich darf Fehler machen“ ja diesen Satz werde ich erst einmal nicht mehr vergessen, er wird meine Zeit im Referendariat prägen!" (Verena H.)

 

"Die Diskrepanz Hochstatus/Tiefstatus hat mich nachdenklich und für meine Umwelt sensibler gemacht. Ich kam zu der Erkenntnis, dass Theater unglaublich viel mit dem wirklichen Leben zu tun hat. Ich werde zukünftig allerlei Interaktionen wohl sehr genau wahrnehmen und analysieren. Für mich persönlich empfinde ich den Kurs als unverzichtbar."  (Ralph C.)

 

Aufbaukurs   

Dieses zusätzliche Angebot nehmen nur noch zehn Referendare, vorwiegend Frauen an, dazu kommen drei junge Hauptschullehrerinnen und eine Schulsozialarbeiterin. Die Gruppe umfasst 14 Personen, darunter zwei Männer. Die Ursachen für diese geringe Teilnehmerzahl liegen in der zeitlichen Struktur der Ausbildung. Vielen erscheint die Referendariatszeit selbst schon als immense Belastung. Sich darüber hinaus auch noch die Verpflichtungen einer kontinuierlichen Theaterarbeit aufzuerlegen erscheint vielen potentiell Interessierten als zuviel. 63% der Grundkursteilnehmer/innen formulierten noch vor der Übernahme eigenverantwortlichen Unterrichts Interesse an einer Fortsetzung der Theaterarbeit während des Referendariats, weitere 26% wollten nach Abschluss der zweiten Phase der Lehrerausbildung einen solchen Aufbaukurs belegen.  Das Interesse besteht.

 

Wie haben die Teilnehmerinnen des Aufbaukurses diese  Arbeit erlebt und welche Auswirkungen sehen sie hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsentwicklung und  Schulpraxis?

Aufschlussreich ist schon, wie die zusätzliche Belastung wahrgenommen wird:

"Ich habe das Gefühl neben dem ganzen Referendariatsstress etwas für mich zu tun."

 (Nicole A.)

"Im Referendariat hat man ja eigentlich nie Zeit und ist ständig beschäftigt und gefordert. Gerade in dieser Situation ist Theaterspielen für mich immer wichtiger geworden: Es sind die Stunden Auszeit, die ich mir selbst nicht nehemen würde - ich kann abschalten, Stress abbauen und auftanken."    (Mirjam W.)

"Es ist mein persönlicher Freiraum indem ich "ich" sein kann, ohne das Gefühl zu haben, permanent funktionieren zu müssen."    (Heike G.)

Die drei Zitate stehen stellvertretend für ähnliche Äußerungen der ganzen Gruppe.

Was die Arbeit selbst anbelangt, zeichnen die Stellungnahmen der Teilnehmerinnen ein klares Bild und untermauern die Bedeutung und damit auch die Chancen, die in einer Etablierung eines solchen Ausbildungsganges für die Lehrerausbildung liegen. Alle haben während dieser Theaterarbeit am Seminar auch in ihren Schulen angefangen, mit Schülern Theater zu spielen.

 

Lehrerinnenpersönlichkeit

" Im allgemeinen hat mich die Theaterarbeit einen großen schritt in Bezug auf meine Lehrpersönlichkeit weitergebracht. Angefangen bei der "Präsenz" bis hin zur Konzentration und nicht zu vergessen, die bewusste Entspannung danach. Es hat mich selber angespornt, mehrer Projekte in der Schule durchzuführen" (Heike G.)

 

"Im Beruf als Lehrer sehe ich es als dringliche Notwendigkeit an, dass wir an uns und unserer Persönlichkeit arbeiten. Wir haben tagtäglich mit dem komplexen System ‚Mensch‘ zu tun, was sich nicht auf bestimmte Handlungsabläufe und Verhaltensweisen reduzieren lässt. Aus diesem Grund sehe ich für mich die Theaterarbeit als Chance an, sich mit allen Facetten, welche das menschlichen Lebens umfasst, auseinanderzusetzen". (Julia S.)

 

Präsenz

"Ganz stark erlebte ich wieder, wieviel Kraft und positive Energie durch die Bewegung (vor allem durch die harte Bewegung im Kampf) freigesetzt werden. Beeindruckend war für mich wieder die große „Dringlichkeit“, um in Pias Worten zu sprechen. Es ist kein Spiel, ich muss mich konzentrieren, ich muss präsent sein, sonst begebe ich mich in Gefahr. Dies konnte ich nach dem Seminar auch sehr gut im Unterricht anwenden. Ich versuchte nun auch dort, ganz bei mir zu sein und „meinen Gedanken eine Richtung zu geben". (Eva H.)

 

Gruppenidentität und soziales Lernen

Dass die Schauspielerei viel mit der eigenen Person (Persönlichkeit) zu tun hat, war mir klar, aber was Doris Merz  aus uns rausgeholt hat, war genial! Theater bedeutet vom Griechischen her 'Erkenne dich selbst', davon habe ich an diesem Wochenende viel gespürt. Meine Erwartungen für dieses Wochenende auf die Gruppe bezogen waren etwas gespalten: Ich 'konnte' bis zu diesem Zeitpunkt nicht mit allen gleich gut. Ich dachte dies würde sich noch verstärken! Das Gegenteil war der Fall: Obwohl wir viel für uns alleine gearbeitet haben, hat unsere Gruppe einen festen Zusammenhalt bekommen. Ich kann meine 'Macken' und die meiner Gruppenmitglieder viel besser akzeptieren, weil mir bewusst wurde, dass jeder seine Geschichte hat, die ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist. Das ging so weit, dass ich die Tage danach auch andere Menschen (sei es Schüler oder Kollegen) viel mehr so lassen konnte, wie sie sind. Auch wenn mir etwas gegen den Strich ging, hatte ich eine  größere  Gelassenheit als sonst. Mir wurde klar, dass Schauspielerei harte Arbeit ist, aber sehr befriedigend sein kann, weil man, bei Doris' Art von Arbeit vor allem auch an sich arbeitet. "

(Nicole A.)

 

Atem und Stimme

" Die Stimmarbeit mit Helga Kröplin und Werner Jauch kann ich sehr gut in meinen Beruf umsetzen. Die Stimmarbeit zeigte mir, wie viele verschiedenen Facetten meine Stimme hat, und welche Möglichkeiten mir hierdurch offen stehen. Im Unterricht kann ich sie nun viel bewusster einsetzen und bestimmte Ziele leichter erreichen. Dass das Atmen einiges in Bewegung setzen und gezielt eingesetzt, bestimmte Zustände hervorrufen kann, erweitert mein Körperempfinden und meine Handlungsfähigkeit. Der Rhythmus zog mich ähnlich wie bei Pia André in einen tiefen Bann und steigerte meine Konzentrationsfähigkeit. Dies faszinierte mich so, dass ich es sofort mit meinen Schüler/-innen ausprobierte." (Julia S.)

 

Gewalt

" ... jedenfalls ist meine Teilnahme an der Fortbildung zunächst nicht von einem thematischen Interesse (Gewalt) geleitet gewesen. Dennoch habe ich im Laufe des letzten (Schul-)Jahres erkannt, dass Gewalt ein Thema ist, das in der Schule aufgearbeitet werden muss. Ich finde, dass die Theaterarbeit dazu hervorragend geeignet ist, weil sie über den Erfahrungsraum Körper - hoffentlich - einen geistigen Prozess einleitet und einen Perspektivenwechsel schafft. Letztlich hat wohl auch die Doris uns unsere eigene Verletzlichkeit körperlich aufspüren lassen. Im gemeinsamen Erleben und Betrachten dieser Verletzlichkeit bei sich und anderen, wächst ein Gemeinschaftsgefühl und Empathiefähigkeit. Würde sich jeder Mensch der eigenen Verletztlichkeit und der anderer Personen bewusst werden/sein, wäre eine Voraussetzung für weniger Gewalt und mehr Behutsamkeit und Menschlichkeit geschaffen. Theaterarbeit stellt sicherlich einen Weg dar, um in der Schule Bewusstwerdungsprozesse zu initiieren und dabei die Chance zu nützen, dem Verlust von Emphatiefähigkeit entgegen zu wirken bzw. Wahrnehmungsprozesse einzuleiten." (Antonietta L.)

 

Die Evaluation der Inszenierungsphase steht noch aus, da das Gesamtprojektes noch nicht abgeschlossen ist.

 

Finanzierung und Ausblick

Die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel des Seminares reichen für einen solchen

Ausbildungsgang bei weitem nicht aus. Den Teilnehmern wurde ein gewisser Eigenanteil abverlangt. Als Glücksfall erwies sich ein Zuschuss des Bundesministeriums für  Familie, Senioren, Frauen und Jugend für ein Projekt "Theater gegen Gewalt und Rechtsradikalismus", das über den Bund Deutscher Amateurtheater bewilligt wurde. Der Förderverein THEATERTAGE AM SEE kooperierte und übernahm die Vorfinanzierung. Diesen "Glücksfall" wird es für den neuen Ausbildungskurs nicht mehr geben. Gesichert ist lediglich die Finanzierung des Grundkurses.

 

Didaktische Zentren

Schon die Zusammensetzung dieses "Pilotprojektes" verweist auf  den Beitrag, den ein theaterpädagogischer Ausbildungsgang für die Weiterentwicklung der Seminare zu didaktischen Zentren haben könnte. Schon zu diesem Ausbildungskurs kamen die Teilnehmer nicht vom Seminar Meckenbeuren. Eine Teilnehmerin kam vom Seminar Albstadt, drei Teilnehmerinnen sind bereits im Schuldienst und die Sozialpädagogin kam aus Konstanz. Eine ganze Reihe Lehrerinnen und Lehrer stehen bereits "in der Warteschlaufe" einer solchen Ausbildung im regionalen Bereich. Es gibt den Bedarf und die Bereitschaft dieses hohe Engagement einzubringen. Ein Vorteil dieser Art der Ausbildung wäre ihre Flexibilität hinsichtlich vielfältigster Kooperationen: Es ließe sich eine Begegnungsstätte schaffen für theaterinteressierte Lehrer und Lehrerinnen, die von der PH über das Seminar in die Lehrerfortbildung und die Schulsozialarbeit hineinreicht. Möglich wäre die Kooperation mit regionalen Bühnen, Kulturämtern und dem Seminar für Schulpraxis in Weingarten. Bereits praktiziert wurde die Zusammenarbeit mit dem Amateurtheaterverband und dem Förderverein THEATERTAGE AM SEE.  Welche pädagogischen Möglichkeiten in solchen Netzwerken liegen dokumentiert auf eindrucksvolle weise die Sozialpädagogin, die an diesem Projekt teilnimmt.

 

Zusammen mit einer Lehrerin versuche ich im Rahmen der Ganztagsbetreuung zwei Stunden die Woche mit Schüler/innen aus der 6.-8. Klasse Theater zu spielen. Es ist für mich mit ganz neuen Erfahrungen und Herausforderungen verbunden, eine Gruppe von (Haupt-) Schüler/innen anzuleiten. ... Die Schüler/innen haben sich für das Thema „Gewalt“ entschieden. Ausschlaggebend dafür sind ihre eigenen Gewalt- und Ausgrenzungserfahrungen an der Schule. Meine Teilnahme am Seminar-Projekt hilft mir dabei enorm, zumal das Stück um das gleiche Thema kreist. Erstens tauche ich dort als Spielerin intensiv in diese Thematik ein und werde so sensibilisiert für die Anforderungen, dich ich an „meine“ Spieler/innen stelle. Zweitens lerne ich, wie ich als Spielleiterin in dieses Thema einführen kann, welche Übungen ich machen kann, auf was ich achten muss, welche Risiken mit manchen Ansätzen verbunden sind usw. Drittens kann ich mir inzwischen auch Rat und Unterstützung aus der Gruppe und vom Kursleiter holen, falls ich mal nicht weiter weiß. Das alles ist mir eine große Unterstützung und gibt mir mehr Sicherheit für meine eigene Arbeit. (K. M. Sozialpädagogin)

 

 

 

 



[1] Um es vorwegzunehmen: Weder dieser Artikel noch das hier geschilderte Projekt gehen davon aus, dass die Hauptschulen der Ort sind, an dem Gewalt und rechtsradikales Gedankengut massiver in Erscheinung treten als in anderen Schularten. Was nicht heißen soll,  dass die Existenz dieser Phänomene verharmlost oder geleugnet wird. Im Gegenteil, es geht darum angehende Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit diesen elementaren Herausforderungen zu stärken. 

[2] Belgrad, Jürgen                 Theater & Pädagogik. Überlegungen zur Vermittlung des Theater-Spiels. In:

Belgrad, Jürgen (Hrsg)                TheaterSpiel. Ästhetik des Schul- und Amateurtheaters. Baltmannsweiler 1997 S. 106ff

[3] Brook, Peter                       Der leere Raum. Berlin 1983 S.9

[4] Boal, Augusto                Der Regenbogen der Wünsche. Methoden aus Theater und Therapie. Seelze 1999 S. 28ff

[5] ders.                     a.a.O.S. 24

[6] Pierre Bourdieu                  Soziologische Fragen. Frankfurt 1993 suhrkamp tb. Darin insbesonders: Was sprechen heißt, S.91ff und     Der sprachliche Markt, S. 115ff

Bourdieu verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des "Habitus" in einem ähnlichen Zusammenhang,

wie Brecht diesen bzgl Schauspielkunst und des alltäglichen Theaters versteht.

 

 

[7] Holzbrecher, Alfred                Subjektorientiert lehren und lernen. S. 19

http:7www.ph-heidelberg.de/org.suschu/Holzbrecher.rft

[8] Hurrelmann, Klaus     Gewalt ist ein Symptom für fehlende soziale Kompetenz. In: Hurrelmann, Rixius, 

                                               Schirp u.a.  Gewalt in der Schule. Ursachen, Vorbeugung, Intervention. Weinheim

1996 , S.14

[9] Holzbrecher                        a.a.O. S. 19

[10] Boal, Augusto                  a.a.O. S.31

[11] Norbert Rixius kommt zu ganz ähnlichen Erkenntnissen im Zusammenhang mit Kampfsport und Meditation.

    Rixius, Norbert  Kampfsport, Meditation und Theaterarbeit. In: Hurrelmann, Rixius, u.a. a.a.O. S. 117ff

[12] Pia André                Neuer Tanz und Stockkampf.  Seminarbegleitendes Skript zu diesem Grundkurs. Meckenbeuren 2001 S. 9f

[13] Pia André                a.a.O. S. 11f

[14] Ingo Scheller hat den Artikel aus Die Zeit 19.Februar 1993, S.19 als Ausgangspunkt szenischen Interpretierens gemacht und in PRAXIS DEUTSCH Heft 136 März 1996, 23. Jahrgang veröffentlicht. Seelze 1996, S. 47ff. Ein weiteres Ziel dieses Lehrgangs ist Wege aufzuzeigen, wie mit Vorlagen aus der didaktischen Lietartur in einem  kreativen Gestaltungsprozess Eigenes entstehen kann.

 

 
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